GOR '97
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  GOR '97: Warum ein eigenes Forum für Online-Forschung?

Im Mai 1996 gründeten Bernad Batinic und Andreas Werner die German Internet Research-List, kurz GIR-L. Ihr Ziel: ein Kommunikationsforum für Interessierte an der Forschung über das Internet zu etablieren. Der Hintergrund: Die empirische Sozialforschung nutzt bislang überwiegend die »klassischen« Möglichkeiten der Datenerhebung. Befragungen erfolgen mündlich oder schriftlich, persönlich oder telefonisch, es gibt Befragungsexperimente und vieles mehr. Die Phase der Datenerhebung ist allerdings eine der schwierigsten und kostenträchtigsten im gesamten Forschungsprozeß. Man denke etwa nur an die jährlichen Betriebskosten des GfK-Panels zur Fernsehforschung.

Anders im Internet: Über WWW-Befragungen lassen sich mit vergleichsweise geringem Aufwand innerhalb kurzer Zeiträume hohe Fallzahlen realisieren. Ländergrenzen spielen keine Rolle, die Befragungen können unabhängig von räumlichen und zeitlichen Zwängen erfolgen. Schon allein diese Gesichtspunkte sind es wert, sich auf dem Forum German Online Research (GOR) '97 intensiver mit der Forschungsmethodik und den Erhebungstechniken zu befassen, die das Internet ermöglicht. Mit dem rasanten Anstieg der Nutzerzahlen von Internet und Online-Diensten verbunden sind die Anstrengungen von Forschern, Medien und Werbungtreibenden, den Eigenschaften der Internet-Gemeinde und den Besonderheiten einzelner Nutzergruppen auf die Spur zu kommen. Reichen Online-Befragungen hierzu bereits aus, oder müssen diese ­ trotz der damit verbundenen hohen Kosten ­ durch repräsentativ angelegte »klassische« Untersuchungen flankiert werden? Wie ist die Qualität jener Daten einzuschätzen, die ausschließlich online erhoben wurden? Die Fragen sind vielfältig und Antworten schwierig. Ist es überhaupt möglich, im Internet repräsentative Stichproben zu ziehen? Wie ist das Problem der Selbstselektion der Befragten zu lösen? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der unterschiedlichen Antwortbereitschaft verschiedener Teilpopulationen bei bestimmten Themen? Hat die Gestaltung von WWW-Fragebögen ­ HTML-Dokumente sehen nicht auf allen Browsern gleich aus ­ einen Einfluß auf die Antworten? Welche Fehler werden bei WWW-Befragungen am häufigsten gemacht? Aber nicht nur bei reaktiven Meßverfahren, also Befragungen aller Art, tauchen mediumspezifische Probleme auf. Auch die Methode der Inhaltsanalyse wird vor neue Probleme gestellt. Wenn nicht mehr alle Web-Teilnehmer einen identischen Inhalt zugespielt bekommen, wie läßt sich dieser dann verläßlich analysieren? So ist zum Beispiel in der Praxis zwar noch feststellbar, welchen Bruttowerbeumsatz ein Werbeträger realisiert hat, die konkreten Werbeinvestitionen einzelner Werbetreibender werden aber immer schwieriger zu ermitteln sein. Denn durch die Möglichkeit des Targeting (der spezifischen Ansprache bestimmter Zielgruppen) wird eine schier unüberschaubare Zahl an Sites und Nutzern unterschiedlich werblich bedient.

Allerdings gibt es auch Inhalte, die erst durch die Speicherfunktion des Internets analysierbar werden. Hierzu zählen die Texte von Mailing-Listen und Newsgroups.

Aus wissenschaftlicher Perspektive ließen sich beispielsweise Form und Öffentlichkeit des Diskussionsprozesses untersuchen. In der Praxis spielen Mailing-Listen und Newsgroups bereits eine wichtige Rolle für das Monitoring von Unternehmen. Chats und Multi User Dungeons (MUDs) eignen sich dazu, Gruppen-diskussionen durchzuführen oder sogar Simulationen zu fahren. Hier wäre zu untersuchen, ob die Beschränkung auf schriftliche Kommunikation die Qualität der Ergebnisse beeinträchtigt. Besonders für den Bereich der Experten-Diskussion wäre durch diese Methoden mit erheblichen Einsparungen zu rechnen. Allerdings sieht sich der Forscher im Internet auch neuen technischen Anforderungen gegenüber. Während Verfahren der Datenerhebung in anderen Medien mit einer homogenen Technik funktionierten, muß nun dem heterogenen Netzwerk Internet Rechnung getragen werden. Dieses Problem erweist sich zum Beispiel für den Bereich der Kontaktmessung im WWW als höchst relevant. Dort müssen für verschiedenste Server-Proxy-Browser-Kombinationen verläßliche Ergebnisse erzielt werden. Die Technik ist auch bei der Programmierung von Fragebögen im Spiel. Die Notwendigkeit zur Programmierung interaktiver Elemente und Datenbank-Schnittstellen verursacht erhebliche Probleme. Die Frage ist, wie hier Abhilfe geschaffen werden kann.

Man sieht: Viele der zukünftig relevanten Themen im Bereich der Online-Forschung werden auf der GOR '97 angesprochen. Das Vortragsprogramm schlägt auch eine Brücke zu soziologischen Fragestellungen. Beispielsweise dürfte es spannend sein herauszufinden, welche Modelle zur Konstitution von Gesellschaft auf den virtuellen Raum anwendbar sind oder welche psychologischen Theorien auch im Internet ihre Gültigkeit behalten.

Im Klartext: Im Mittelpunkt der GOR '97 steht die Absicht, die Online-Methodik für Wissenschaft und Praxis nutzbar zu machen. Mit diesem ersten breiten interdisziplinären Workshop möchten wir dazu beizutragen, die bereits entwickelten Ansätze auf ihre Tauglichkeit hin zu prüfen und die Weiterentwicklung der Methoden und Instrumente der Online-Forschung zu fördern.

Bernad Batinic
Wolfgang Bandilla
Lorenz Gräf
Andreas Werner
 


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