GOR '97
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  Reaktivität erwünscht? Netzkommunikation als methodische Herausforderung für die Inhaltsanalyse

Patrick Rössler
und
Wolfgang Eichhorn

Methode: Methodische Überlegungen zur Anwendbarkeit der Inhaltsanalyse auf WWW-Angebote anhand einer Fallstudie

Die klassische Methode der Inhaltsanalyse zur Untersuchung von Medieninhalten stößt bei Anwendung auf Online-Angebote an ihre Grenzen. Eine Fallstudie zeigt: Die Dynamik und die Interaktionsmöglichkeiten des Mediums Internet erfordern neue Wege.

Forschungsfragen müssen abstrakter und gleichzeitig stärker nutzungsbezogen formuliert werden.

Die Inhaltsanalyse gehört zum methodischen Standardrepertoire der Medienforschung, ermöglicht sie doch Aussagen über ein zentrales Element des Kommunikationsprozesses, nämlich die Medieninhalte. Da sich die Inhaltsanalyse bislang als non-reaktives Verfahren definiert, das auf einen fixierten (Medien-) Stimulus angewendet wird, stellen sich die verschiedenen Formen der Netzkommunikation als enorme Herausforderung für die empirische Forschung dar: Die zur Untersuchung traditioneller Medienangebote +entwickelten Instrumente können nicht ohne substantielle Modifikationen auf das Internet angewendet werden.

Teilweise verlangen die spezifischen Charakteristika des Mediums vollkommen neue Analysestrategien. Insbesondere die Variabilität des Medienangebots in Abhängigkeit von den Nutzungsmustern der Rezipienten geht weit über die bislang anzutreffenden, bloßen Selektionsmechanismen hinaus ­ der »manifeste Inhalt«, wesentliches Kennzeichen der bislang zu analysierenden Medienangebote, löst sich in der interaktiven und dynamischen Netzkommunikation auf.

Im Netz stehen sich zwei Kommunikatoren gegenüber

Dies läßt sich mit Hilfe einer Modifikation des dynamisch-transaktionalen Modells veranschaulichen. Statt Medien und Rezipienten stehen sich im Internet zwei Kommunikatoren gegenüber, die über ein vielfältiges Repertoire an Interaktionsmöglichkeiten verfügen. Kommunikationsangebote wie -inhalte werden nicht nur jeweils durch interne Verarbeitungsprozesse verändert, sondern die wechselseitige Koorientierung hält gleichzeitig Angebote und Inhalte kontinuierlich im Fluß.

Diese im Medium Internet angelegten Rückkopplungsschleifen erschweren zum einen die Stichprobenziehung für eine Inhaltsanalyse und werfen gravierende Probleme bei der Definition und der Abgrenzung von Untersuchungseinheiten auf. Gleichzeitig wird die Nachvollziehbarkeit der Befunde deutlich ein-geschränkt, was sich unter anderem auf die Berechnung der üblichen Gütemaße (Intra- und Intercoder-Reliabilität) auswirkt.

Eine Inhaltsanalyse am Beispiel deutschsprachiger Web-Sites von Autoherstellern verdeutlicht die Problematik: Bei der Entwicklung des Kategoriensystems zeigt sich, daß eine traditionelle Vorgehensweise, die die Selektionsprozesse des Rezipienten ausklammert, nicht in der Lage ist, den manifesten Inhalt einer dynamisch angelegten Web-Site adäquat und intersubjektiv vergleichbar abzubilden. Es ist allenfalls möglich, den durch die Autoren der Web-Site konzipierten Rahmen zu erfassen, innerhalb dessen der Nutzer im Rezeptionsvorgang die jeweils situationsspezifischen Inhalte konkretisiert.

Die Inhaltsanalyse muß ein gewisses Maß an Reaktivität berücksichtigen

Inhaltsanalysen multimedialer Online-Medien müssen der stärkeren Individualisierung der Rezeption dadurch Rechnung tragen, daß Forschungsfragen abstrakter und gleichzeitig stärker nutzungsbezogen formuliert werden. In unserer explorativen Analyse stand zum einen die thematische Schwerpunktbildung, zum anderen die Realisierung der Benutzer-Schnittstelle, also die Gestaltung des Web-Angebotes im Vordergrund.

In beiden Dimensionen sind signifikante Unterschiede zwischen den Anbietern festzustellen: Die Strategien der Autohersteller im WWW reichen in thematischer Hinsicht von produktorientierten bis zu unterhaltungsorientieren Angeboten. In der Realisierung der Schnittstelle finden sich neben traditionellen, an Printmedien orientierten Web-Sites auch Angebote, die das multimediale, dynamische Potential des WWW voll ausschöpfen.

Letztlich muß die Inhaltsanalyse von Netzkommunikation ein gewisses Maß an Reaktivität berücksichtigen. Dies betrifft zum einen die Individualisierung der rezipierten Inhalte (zum Beispiel durch Datenbankabfragen), zum anderen die Ausweitung der kommunikativen Möglichkeiten, die die Erfassung neuer Parameter ­ etwa die Einbeziehung des Zeit-faktors bei der Ladedauer von Webseiten oder der Wartezeit bei E-Mail-Anfragen ­ nahelegen.

Dr. rer. soc. Patrick Rössler M.A. und Dr. phil. Wolfgang Eichhorn M.A. sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft (ZW) der Universität München.
E-Mail: roessler@ifkw.uni-muenchen.de / eichhorn@ifkw.uni-muenchen.de

 


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